IM FELLANZUG: ZU DEN SELBSTPORTRÄTS VON UNDINE GOLDBERG
Meine erste Begegnung mit den Arbeiten von Undine Goldberg liegt viele Jahre zurück, die Künstlerin studierte damals noch an der Kunstakademie in München. Eine Serie von kleinformatigen Fotografien, ungerahmt an die Wand gepinnt, zeigten Goldberg und die Künstlerin Cornelia Wittmann mit ausgebreiteten Armen und leicht entrücktem Gesichtsausdruck in der Luft „schwebend“, Vorbilder waren historische Darstellungen von Levitationen, wie sie zunächst in der mittelalterlichen Kunst auftauchten und später – in Form von Geisterfotografien – in mediumistischen Kreisen zirkulierten. Die Fotos waren komisch, trugen bei aller scharlatanhaften Verstellung aber auch einen seltsam berührenden Ernst zur Schau. Eine nicht unähnliche Pose quasi-religiöser Verstrahlung findet sich auf einem von Goldbergs Malereien. „Porträt im Fellanzug“ (2014) zeigt die Künstlerin in frontaler Ansicht und zentral im Bildraum platziert in einem Fellkostüm. Der Körper ist volumniös, er geht regelrecht aus dem Leim, während das kleine, zierliche Gesicht im bärigen Gewand fast zu versinken droht. Trotz ihrer Wuchtigkeit scheint der auf weißen Stoff gesetzten Gestalt die Bodenhaftung zu fehlen, sie strahlt im Gegenteil etwas Luftiges aus und man würde sich kaum wundern, wenn sie im nächsten Moment abhebte. Nun liegen zwischen den eher lapidaren „Snapshots“ aus der ausgehenden Studienzeit und den Selbstporträts, die Goldberg seit einigen Jahren im Feld der Malerei produziert, viele Jahre an angesammeltem künstlerischen (und kunsthistorischem) Wissen und mehr als nur ein Medienwechsel. Und dennoch sind gewisse Parameter bereits gesetzt. Zu nennen wäre etwa die Aneignung medialer Vorlagen, das Faible für Rollenspiele und damit verbunden, ein performatives Moment. Hinzu kommen ein Hang zur eher beiläufigen, unzeremoniellen Präsentation wie auch ein Sinn für leise (Situations)komik. Eine Komik, die jedoch stets mit dunkleren Gefühlslagen verstrickt ist.
So experimentierfreudig Goldbergs künstlerisches Werk und gerade auch ihre Ausstellungspraxis anmuten – von low-key-Videos, Blumenbildern, Porträts von Kleidungsstücken und kurzen autobiografischen Texten bis hin zur olfaktorischen Group Show: Mit dem Selbstporträt – und mit der Doppelrolle von Künstlerin und Modell – verbindet Goldberg eine lange, intensive und geradezu hartnäckige Geschichte. Nachdem die Künstlerin das Genre zunächst in den Medien Fotografie und Video bearbeitete – in ihren kurzen, zwischen Performancekunst und Homevideos changierenden Filmen appropriierte sie meist Versatzstücke aus der Popkultur (Musik, Fashion) und brachte sie an einen fast schmerzhaften Punkt unerfüllten Begehrens – verlegte sie Anfang des neuen Jahrtausends die Beschäftigung mit Identität und (Geschlechter)rollen ganz auf die Malerei. Zu traditionellen Malereikonzepten gehen die Arbeiten dabei ebenso auf Abstand wie zu jenen – oftmals an akademischen Malerei-Diskursen angelehnten Ansätzen, die das Medium auf der Ebene des Metatextuellen kritisch befragen. Anders gesagt: Goldbergs Verhältnis zur Malerei mag zwar grundsätzlich affirmativ sein, offenbart aber dennoch eine tiefe Skepsis gegenüber ihren Macht- und Herrschaftsansprüchen und den damit verbundenen – vor allem historischen – Ausschlüssen weiblichen Kunstschaffens. Nicht von ungefähr greift die Künstlerin in ihren Porträts auf kunsthistorische Vorlagen zurück, in denen sich ein männliches Künstlersubjekt (Dürer, Manet, Liebermann, Leibl, Beckmann und andere) in seinem Selbstverständnis als – mal souveräner, mal nachdenklicher – Meister inszeniert, der sein Metier zu beherrschen weiß (ein Künstler wie Rembrandt nahm wiederum selbst recht unbescheiden die verschiedensten Rollen ein wie Fürst, Apostel Paulus etc.). Ihre Auswahl scheint sich dabei mehr an den Identifikationsangeboten des jeweiligen Werks zu messen als an seinem Status innerhalb der Kunstgeschichte. Es sind berühmte „Alte Meister“ dabei – Dürers „Selbstporträt im Pelzrock“ (1500) und Manets „Der Pfeifer“ (1866) – und eher Abseitiges, das seinen Platz an den Rändern bildungsbürgerlichen Wissens hat. Werke wie „Der königliche sächsische Forstinspektor Carl Ludwig von Schönberg“ (1850) des Dresdner Porträtmalers Ferdinand von Rayski. Die Epochen reichen von Manierismus über den Barock bis hin zum Expressionismus.
Tatsächlich geht Goldbergs Beschäftigung mit Formen maskuliner Selbstdarstellung weit in die von feministischen Theoriedebatten belebten 1990er-Jahre zurück. In der Foto-Serie „Künstlerporträts“ (gemeinsam mit Cornelia Wittmann)1, inszenierten sich die beiden Künstlerinnen nach fotografischen Vorlagen als u. a. Kippenberger, Basquiat, Beuys und Oehlen. Dabei verleibten sie sich ihre männlichen Rollenvorbilder regelrecht ein, indem sie in originalgetreuen Kostümen und Frisuren ihre Körperhaltungen, Gesten und Blicke mimetisch nachstellten. Die „Künstlerportäts“ (1994) lassen sich im Kontext der Selbstinszenierungen und Maskeraden lesen wie sie in der feministischen Kunst praktiziert wurden – etwa durch Valie Export –, sie bedienen sich aber auch der Aneignungsstrategien der Appropriation Art. In Goldbergs Malereien setzen sich diese von heute aus betrachtet „klassischen“ Traditionslinien fort, etwa wenn sie ähnlich wie Sherrie Levine in ihrer „After Walker Evans“- Fotoserie von 1981 in den Bildtiteln ihre Überschreibung markiert, z. B.: „Selbstportrait als Malerin (nach Tintoretto)“ (2019) oder: „Selbstportrait im Smoking (nach Max Beckmann)“ (2019). An dieser Stelle tritt auch die Performativität in die Malerei. Theatrale Handlungen gehen der Bildproduktion voraus. Gesten und Kostüme werden gefunden, Selfies gemacht. Goldbergs Selbstporträts sind so betrachtet auch in Malerei überführte Reenactments.
„Porträt im Fellanzug“, obgleich nicht an ein Künstlerporträt angelehnt, kann so gesehen als eine Art Schlüsselwerk gelten. Die Künstlerin schlüpft hier buchstäblich in eine fremde Haut, um sich als eine Andere zu zeigen. In seinem Text über das Porträt geht der französische Philosoph Jean-Luc Nancy auf eben diese die Ambivalenz von sich zeigen und sich entziehen ein. Der porträtierte Andere sei als wiedererkannter Anderer noch unbekannter, als er vor dem Wiedererkennen war, schreibt er in „Das andere Porträt“2.
Das Moment des sich Entziehens ist in Goldbergs Selbstporträts schließlich auch im Material selbst angelegt. Seit dem Jahr 2012 arbeitet die Künstlerin auf ungrundierten Stoffen, die sie nass mit Tusche oder auch Gouache bemalt, als Bildträger fungieren Tücher und Bettlaken. Unterschiedliche Texturen ergeben sich durch die Beschaffenheit des Materials – von eher grober Baumwolle bis hin zum glatten und leicht schimmernden Polyester –, aber auch die Spuren des eigenen Körpers, die während des Malens auf dem Boden entstehen (Körperabdrücke, Farbspritzer) fließen als Nebenprodukte mit ein. Das Format wird durch den jeweiligen Stoff vorgegeben, meist steht es in einer maßstabsgetreuen Beziehung zum eigenen Körper. Durch das Malen auf nassem Grund entzieht sich das Bild ein Stück weit der Kontrolle und macht Platz für Zufälle – oder gar schöne „Unfälle“ wie in dem farbexplosiven Bild „o. T.“ (2019). Goldberg setzt die Effekte des Ungeplanten aber auch gezielt ein, wenn sie die Begrenzungen des Körpers regelrecht ausbluten lässt, wodurch es unweigerlich zu proportionalen Verzerrungen kommt. Umso stärker zentriert sich der Ausdruck des Porträts, seine Wesenhaftigkeit im Gesicht, das verhältnismäßig stark und detailgenau ausformuliert wird. Während das Gesicht stets den stabilen Fixpunkt bildet, fließt alle Bewegung in den Körper, an dessen fluiden Rändern sich „entzündliche“ Herde konturieren. Die Figur gerät so in ein permanentes Spannungsverhältnis von Immaterialität und Körperlichkeit. Tatsächlich waren die ersten Selbstporträts, die Goldberg auf Stoff anfertigte, Umrisszeichnungen des eigenen Körpers, die anschließend mit Farbe „gefüllt“ wurden. Aber auch wenn sie bald dazu überging, nach fotografischen Selbstporträts zu malen, scheint die Präsenz des nun abwesenden Körpers noch immer nachzuhallen – nicht zufällig war das Turiner Grabtuch eine der ersten Referenzen. Die Farbe – Goldberg arbeitet mit wenigen, kontrastreichen Farben wie Rot, Purpur, Pink, Braun, Ocker und dem für Manet charakteristischen Schwarz – sickert in den Bildträger ein wie eine Körperflüssigkeit, sie ist mit ihm symbiotisch verbunden. In der Verschmelzung mit dem Malgrund findet sich jenseits der immateriellen, geisterhaften Effekte aber auch ein Anspruch auf Platz und „gesehen werden“ formuliert. Das Zarte, Transluzide und Flüchtige, das Goldbergs Malereien zweifellos eigen ist und sich in der Präsentationsform fortsetzt – die bemalten Stoffe werden lose an die Wand geheftet – , sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei auch um Akte der Inbesitznahme handelt.
Goldberg kommt dann auch schnell zum Wesentlichen. Mit der Gestaltung eines Settings wird sich erst gar nicht lange aufgehalten. Stattdessen bricht sie das gesamte Erzählmaterial (Raum, Nebenfiguren etc.) herunter auf die bloße Figur, ihren Habitus, ihr gestisches Vokabular, auf Blickweisen. Die weiße „Leinwand“ lässt sich nicht zuletzt als eine symbolisch leere Bühne lesen, die von der Künstlerin bespielt wird. Von einer schlichten Form weiblicher Selbstermächtigung, die in der bloßen Aneignung maskuliner Gesten einen Ausdruck von Handlungsmacht sehen will, setzen sich Goldbergs Bilder gleichwohl ab. Schon eher fungieren die historischen Vorlagen als Verkleidung, in deren Schutz sich eigene und durchaus gegenwärtige Befindlichkeiten artikulieren lassen – und das auf so offene wie uneitle Weise. Auch wenn die Künstlerin auf Bildern wie Selbstportrait (nach Rubens), (2019) eine stattliche Pose einnimmt und sich gleich mehrfach als „Maler“ mit Pinsel in der Hand zeigt – in „Selbstportrait als Malerin (nach Tintoretto)“ (2019), „Selbstportrait (nach Max Lieberman)“ (2016) – enthüllt das Gesicht weitaus brüchigere Zustände wie Melancholie und Erschöpfung. Diese Müdigkeit hat gleichzeitig aber auch etwas Entspanntes. Goldbergs Fellanzug scheint mir bei aller Ambivalenz ein guter Platz zu sein.
ESTHER BUSS
1 Die „Künstlerporträts“ von Goldberg/Wittmann waren erstmals in der Ausstellung „Oh boy, it’s a girl!“ (1994) im Kunstverein München neben Arbeiten von u. a. Nicole Eisenman, Valie Export, Birgit Jürgenssen und Carolee Schneemann zu sehen.
2 Jean-Luc Nancy, „Das andere Porträt“, Zürich/Berlin 2015.
Text von Berthold Reiß für die Ausstellung “Undine Goldberg”, 2025, MILCHSTRASSE 4, München:
Die Malerei stellt sich weniger als Feld dar, sondern als Gebiet. Dieses kann betreten, erkundet oder erworben werden, aber auch unberührt bleiben oder ganz unbekannt. Noch an der weißen Wand steht das gemalte Bild für einen Aufenthalt, der immer zu lange dauert, um vollständig zu werden. Zwar gibt es bei Undine Goldberg Gegenstände und nicht viel mehr als Pferd, Schleife, Vorhang und Pflanze. Aber gerade dann, wenn oft oder meistens die Künstlerin selbst auftritt, entzieht sie sich auch. Denn es handelt sich nicht um ein Posing und auch nicht um eine Position in der Malerei. Was als Selbstbehauptung oder als Bildbehauptung gesellschaftlich oder professionell festgelegt oder positiv sein könnte, befindet sich vielmehr in einem Gleichgewicht. Ein Bild atmet noch an der objektiven Wand. Oder die Künstlerin ist auch dann noch anwesend, wenn andere Gegenstände erscheinen oder eine Doppelheit wie zwei Menschen unter dem Kostüm eines Pferdes.
Ein Selbstporträt ist immer noch mehr als ein Selfie, weil es den Weg zum Selbst gehen muss, den die Fotografie abkürzt. Für Immanuel Kant ist das Ich nicht viel mehr als ein Wort, wenn es nicht der Zeit unterliegt. In der Zeit aber zeigt es sich nur „wie es sich erscheint, nicht wie es ist.“ Aber es erscheint dennoch dem Ich. Ein Selbstporträt steht für das Gleichgewicht zwischen Sein und Schein. Das Sein zeigt sich als Schein, und der Schein so, als ob er das Sein wäre. Ein Bild von 2019 ist nicht eine Frau oder ein Beckmann. Es scheint nur Gender oder Geschichte zu verhandeln, indem Undine Goldberg ähnlich wie Max Beckmann gemalt ist. Sicher aber bezieht sich diese Malerei auf ihre Autorin. Und als Reihe kann sie gelesen werden wie eine Biografie. Aber 2024 sagt Undine Goldberg, dass sie vorhatte, „mit den Selbstporträts aufzuhören“ und dass sie angefangen habe, in Öl auf Leinwand zu malen, „um meinen Bildern etwas Festigkeit zu geben.“ Es ist, als ob die Künstlerin in dem Maß zurücktritt, in dem ihre Malerei hervortritt.
Dieser Anfang und jenes Ende schließen das ein, was wir nicht ablaufende Dinge, sondern das Endliche nennen. Dass irgendwann nur die Bilder zurückbleiben, dekonstruiert nicht, es formuliert, dass wir meist leben, als ob wir nicht enden würden. Heute stellt sich diese Hoffnung tatsächlich als überliefert und scheinbar als überwunden dar. „Aus gläsernen Särgen blickte mich überwundenes Leben an.“ Also sprach Zarathustra. 2020 weist Esther Buss darauf hin, dass das Turiner Grabtuch für die Künstlerin eine der ersten Referenzen gewesen sei. Der Hinweis scheint trefflich, aber was trifft er? Es trifft nicht zu, dass diese Reliquie neu hergestellt oder gar wiederbelebt wird. Erst recht nicht wird sie ausgelöscht oder gar vereinnahmt. Dagegen vertieft und entfaltet Undine Goldberg das Selbstporträt.
Ein Vorbild findet sich weniger in der Zeit nach dem Christentum als in der Zeit davor. Die Selbstbetrachtungen von Mark Aurel finden heute mehr Beachtung als seine Taten als Kaiser zwischen 161 und 180 nach 0. 2024 teilt Undine Goldberg ihren Bildern etwas von der Festigkeit mit, die die äußeren Dinge besitzen. In den Selbstbetrachtungen heißt es: „Verliert etwa ein Smaragd etwas von seinem Wert, wenn man ihn nicht lobt, und gleicherweise das Gold, Elfenbein, Purpur, eine Leier, ein Kurzschwert, eine Blume, ein Strauch?“ In der Perspektive, die Undine Goldberg eröffnet, gewinnt die Welt wieder die Größe, die Mark Aurel anspricht wie eine Person: „Alles stimmt mit mir überein, was mit dir, Kosmos, übereinstimmt. Nichts kommt mir zu früh, nichts zu spät, was dir zur rechten Zeit kommt.”
Berthold Reiß